Archetypen: Menschen, Muster, Mustermenschen

von Andrea Himmelstoß

Erklärung des Menschseins und befinden sich auf der Suche nach Grundsätzlichem, nach dem Wesen des Menschen.

 

Doch die Reduktion auf das Wesentliche scheint kaum mehr möglich. Das Menschsein an sich scheint es nicht mehr zu geben, Adam und Eva haben ausgedient. Zu facettenreich ist, was sich den Künstlern auf ihrer Suche präsentiert. Zu viele Aspekte hat der moderne Mensch, zu viele Funktionen kann und muss er erfüllen. So greift der Künstler zu einer sehr menschlichen Methode der Welterklärung. Er will sortieren. Neugierig auf die Welt und den Menschen fragt er: Was zeichnet einen Menschen aus, der Politiker ist? Wo finden sich weibliche Attitüden in Manga-Figuren? Wie wird Herrschaft ausgeübt, wie Unterwerfung?

 

Die Antworten führen zu Archetypen. Die sind wohl zu unterscheiden von Stereotypen, was eine natürliche Konsequenz der detailfreudigen Betrachtung ist. Aber sie finden ihre Form. Sperrig ist diese Form, wenn Johannes Häfner seine Archetypen grafisch umsetzt. Als wollten sie die zwei Dimensionen des Papiers sprengen, verweigern seine Kompositionen den Zugriff, verstecken Sinn hinter Vielfalt und geben sich in ihrer welterschrockenen Kraft dennoch sofort zu erkennen. Anders die dreidimensionalen Archetypen von Guido Häfner. Sie scheinen sich zurückzusehnen in die sanftere Wirklichkeit der ursprünglichen Zweidimensionalität der Stahlplatte. Erkennbar und verletzlich - aber äußerst potent - nehmen sie sich im Moment der Erkenntnis sogleich wieder zurück. Dass unwiderstehliche Anziehung und verwirrende Abstoßung einander bedingen und fördern, eint das Werk der Brüder. Was zwei nicht nur im Wortsinne verwandte Köpfe im iterativen Schöpfungsprozess entwickeln, scheint auseinander zu streben und sich zugleich einander anzunähern.

 

Diese starke Zerrissenheit wird in den Werken der Brüder Häfner spürbar und wirft die Frage nach ihrem Woher auf. Ist es die Zerrissenheit des Menschen per se, der in seiner wertoffenen Welt sein Weltbild und seine Wurzeln sucht? Oder spiegelt sich hier die brüderliche Zerrissenheit, die aus gleicher Herkunft, aber eigenständigen Wegen resultiert, und die in der Kunst kompensiert wird? Beides findet seine Entsprechung, beides lässt sich herauslesen. Denn beides ist von allgemeingültiger Bedeutung. Der Urknall, die Herkunft alles Menschlichen, führte zu facettenreicher Entwicklung, wiederholt sich in der brüderlichen Beziehung und fordert am Ende das Maßnehmen am anderen. Selbst- und Welterkenntnis sind nicht zu trennen.

 

Also sezieren die Brüder Häfner. Fröhlich, provokant, ja schalkhaft nehmen sie, was sie finden in der Welt und bauen sich daraus - nein, keine eigene Welt, aber doch einen Vorschlag zur Interpretation der Welt. Sie clustern ihre Fundstücke, indem sie Archetypen entwickeln. Begonnen haben sie mit E.T.A. Hoffmanns Automate Olimpia, die den letzten Anstoß zum Wahnsinn gibt, dem Nathanel verfällt, der Protagonist des Sandmanns. In einem expressiven Stakkato verleihen Guido und Johannes Häfner ihren Interpretationen vehement Ausdruck. Guido in Stahlskulpturen, Holzskulpturen, Stahl- und Kettensägenholzschnitten, Johannes in Computergrafiken, Malerei und Linolschnitten. Nicht zu vergessen ihre bibliophilen Künstlerbücher aus dem ICHverlag.
 

Über die Jahre haben die Archetypen sich verändert. Knüpft der Archetyp der Olimpia noch an die Schöpfung eines Automaten durch einen Menschen an, hinterfragt dabei auch den Menschen als Schöpfung einer übergeordneten Macht, sei es die Natur oder ein einzelner Mensch, so erweitern die folgenden Archetypen die Fragestellung. Sie rücken den von vielen Menschen, den Medien, der Gesellschaft geformten Archetypen in den Fokus. Waren zunächst Kunstfiguren wie der Königskasper die figuralen Medien, die in facettenreicher, manchmal vom Comic inspirierter, oft erfrischender Sprache Abbild des Menschen in einer verwirrenden Welt waren, so lassen die Brüder Häfner nun diese Hülle der Sinnsuche fallen und stellen sich der Aufgabe, die der Analyse logisch folgt. Fragmente des - häufig medial - Wahrnehmbaren werden in Johannes Häfners jüngsten Archetypen zu aussagekräftigen Statements zusammengefügt. Komplexes wird reduziert. Politikerköpfe werden uniform verfremdet und stellen die Frage nach dem Archetypen auf neue Weise. Auch vor dem Ich macht der Computergrafiker nicht halt. Stellt sich mit dem Archetyp Ich in den Fokus der Fremdwahrnehmung als instrumentalisiertes und zugleich instrumentalisierendes Individuum. Diese Verkettung, besser Vernetzung, wird auch in die komplexen Strukturen der jüngsten Skulpturen von Guido Häfner transformiert. Der Weg der Stahlplatte zur Skulptur mündet in der komplexer werdenden Dreidimensionalität. Die verborgene Macht des künstlerischen Schöpfungsprozesses ist unter machtvoller blauer Ölfarbe der jüngsten Archetypen nur noch zu erahnen oder wird transparent mit jeder Naht, die der Schweißbrenner auf dem Material hinterlässt. Der Mantel der Vergesellschaftung fällt über die Schöpfung und wird im selben Moment gelüftet.

 

Der iterative Prozess zwischen Herkunft und Formung manifestiert sich in den Dimensionen der Brüder Häfner trotz des so verschiedenen Materials auf eigentümlich harmonische Weise. Auf die Frage der Menschwerdung im Hier und Jetzt werden teils erschreckende Antworten gegeben. Beruhigend aber ist: Die Suche ist nicht beendet.

 

Häfner+Häfner

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